Die alten pflichten
Mit Nächstenliebe und Toleranz zu einer humanitären Welt
Die „Alten
Pflichten“ von James Anderson aus dem Jahre 1723 bilden sozusagen das
Grundgesetz der regulären Freimaurerei. Die her aufgeführten „Allgemeinen
Kapitel“ handeln I. Von Gott und der Religion; II. Von der obersten und
den nachgeordneten staatlichen Behörden; III. Von den Logen; IV. Von Meistern,
Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen; V. Von der Leitung der Bruderschaft bei der
Arbeit; VI. Vom Betragen, nämlich: 1. in geöffneter Loge; 2. nach geschlossener
Loge, wenn die Brüder noch beisammen sind; 3. wenn Brüder ohne Profane
zusammenkommen, aber nicht in der Loge; 4. in Gegenwart von Profanen; 5. daheim
und in der Nachbarschaft; 6. gegenüber einem unbekannten Bruder.
I. Von Gott und der Religion
Der Maurer ist als Maurer
verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn er die Kunst recht
versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner, noch ein bindungsloser
Freigeist sein. In alten Zeiten waren die Maurer in jedem Land zwar
verpflichtet, der Religion anzugehören, die in ihrem Lande oder Volke galt,
heute jedoch hält man es für ratsamer, sie nur zu der Religion zu verpflichten,
in der alle Menschen Übereinstimmen, und jedem seine besonderen Überzeugungen
selbst zu belassen. Sie sollen also gute und redliche Männer sein, von Ehre und
Anstand, ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis oder darauf, welche Überzeugungen
sie sonst vertreten mögen. So wird die Freimaurerei zu einer Stätte der
Einigung und zu einem Mittel, wahre Freundschaft unter Menschen zu stiften, die
einander sonst ständig fremd geblieben wären.
II. Von der obersten und den nachgeordneten
staatlichen Behörden
Der Maurer ist ein
friedliebender Bürger des Staates, wo er auch wohne oder arbeite. Er darf sich
nie in einen Aufstand oder eine Verschwörung gegen den Frieden oder das Wohl
seiner Nation verwickeln lassen und sich auch nicht pflichtwidrig gegenüber nachgeordneten
Behörden verhalten. Denn da die Maurerei durch Kriege, Blutvergießen und
Aufruhr schon immer Schaden erlitten hat, so hatten in alten Zeiten Könige und
Fürsten die Bruderschaft stets wegen ihrer Friedensliebe und ihrer Treue zum
Staat gefördert. Damit begegneten sie den Verleumdungen der Gegner und stellten
sich schützend vor die Ehre der Bruderschaft, die sich gerade in Zeiten des
Friedens besonders entfalten konnte. Sollte nun ein Bruder zum Rebellen gegen
die Staatsgewalt werden, so darf man ihn in seiner aufrührerischen Haltung
nicht bestärken, wie sehr man ihn auch als einen unglücklichen Mann bemitleiden
mag. Obwohl die Bruderschaft in Treue zum Gesetz seine Empörung ablehnen soll
und muß und der bestehenden Regierung keinen Anlaß und Grund zu politischer
Verdächtigung geben darf, kann sie ihn, wenn er keines anderen Verbrechens
überführt ist, nicht aus der Loge ausschließen; seine Bindung an sie bleibt
unauflöslich.
III. Von den Logen
Die Loge ist der Ort, wo
die Maurer zusammenkommen und arbeiten. Daher nennt man dann jene Versammlung
oder gehörig eingerichtete Gesellschaft von Maurern eine Loge. Jeder Bruder muß
einer solchen angehören; er ist an ihre Satzung und die allgemeinen Anordnungen
gebunden. Die Loge ist entweder eine einzelne oder eine allgemeine; man lernt
sie am besten verstehen, wenn man sie besucht, aber auch durch die unten
folgenden Anordnungen der Allgemeinen oder Großen Loge. In alten Zeiten durfte
kein Meister oder Mitbruder fehlen – besonders dann nicht, wenn er aufgefordert
war zu erscheinen -, ohne sich einem strengen Verweis auszusetzen, es sei denn,
Meister und Aufseher hätten sich davon überzeugt, daß ein zwingender Grund ihn
am Erscheinen verhindert hatte. Die als Mitglieder einer Loge aufgenommenen
Personen müssen gute und aufrichtige Männer sein, von freier Geburt, in reifem
und gesetztem Alter, keine Leibeigenen, keine Frauen, keine sittenlosen und
übel beleumdeten Menschen, sondern nur solche von gutem Ruf.
IV. Von Meistern, Aufsehern, Gesellen und
Lehrlingen
Jedes Vorrecht unter
Maurern gründet sich allein auf wahren Wert und persönliches Verdienst, damit
die Bauherren gut bedient werden, die Brüder sich nicht schämen müssen und auf
die Königliche Kunst kein Schatten falle. Kein Meister oder Aufseher wird
deshalb wegen seines Alters gewählt, sondern allein um seines Verdienstes
willen. Es ist unmöglich, schriftlich diese Dinge näher darzulegen; jeder
Bruder muß an seinem Platz achtgeben und sie in der Weise erlernen, die unserer
Bruderschaft eigentümlich ist. Bewerber mögen nur wissen: Ein Meister soll
einen Lehrling nur dann annehmen, wenn er ausreichende Beschäftigung für ihn
hat, wenn er ein völlig gesunder junger Mann ist, keine Verstümmelung oder
sonst ein körperliches Gebrechen an sich hat, die es ihm unmöglich machen, die
Kunst zu erlernen, dem Bauherrn seines Meisters zu dienen, ein Bruder zu
werden, nach gehöriger Zeit auch Geselle, sobald er die bestimmte Anzahl von
Jahren gedient hat, wie es der Brauch des Landes vorschreibt. Auch soll er von
ehrenhaften Eltern abstammen, so daß er schließlich, wenn auch sonst befähigt,
zu der Ehre aufsteigen kann, Aufseher zu werden, dann Meister der Loge,
Großaufseher und schließlich Großmeister aller Logen, je nach seinem Verdienst.
Nur der Bruder kann Aufseher werden, der zuvor Geselle war; und der nur
Meister, der als Aufseher tätig, und Großaufseher nur, wer Meister einer Loge
war. Großmeister kann nur werden, wer vor seiner Wahl Geselle war. Er muß auch
von edler Abkunft oder ein vornehmer Mann von feiner Lebensart sein, ein
hervorragender Gelehrter, ein bedeutender Baumeister oder sonst ein Künstler,
aus gutem Hause, und nach der Meinung der Logen besonders große Verdienste
aufweisen. Um sein Amt besser, leichter und ehrenvoller ausüben zu können,
steht dem Großmeister das Recht zu, sich selbst einen stellvertretenden
Großmeister zu wählen, der Meister einer Einzelloge sein oder gewesen sein muß.
Dieser ist berechtigt, so zu handeln, wie der Großmeister, sein Vorgesetzter,
es sei denn, dieser sei selbst zugegen oder mache seine Autorität durch ein
Schreiben geltend. Diesen höchsten und nachgeordneten Leitern und Lenkern der
alten Loge – je nach ihren Ämtern – sollen die Brüder, so wie es die alten
Pflichten und Anordnungen wollen, in aller Ergebenheit, Achtung, Liebe und
Bereitwilligkeit gehorchen.
V. Von der Leitung der Bruderschaft bei der
Arbeit
Alle Maurer sollen an den
Arbeitstagen rechtschaffen arbeiten, damit sie an den Feiertagen in Ehren leben
können; die durch Landesgesetz angeordnete oder durch Herkommen festgelegte
Arbeitszeit ist einzuhalten. Der erfahrenste Geselle soll zum Meister oder
Aufseher über das Werk für den Bauherrn gewählt oder ernannt werden. Wer unter
ihm arbeitet, soll ihn Meister nennen. Die Werkleute sollen Schimpfreden
vermeiden und sich untereinander nicht mit häßlichen Ausdrücken belegen,
sondern einander Bruder oder Genosse nennen. Sie sollen sich innerhalb wie
außerhalb der Loge höflich benehmen. Der Meister, der sich seines Könnens
bewußt ist, soll das Werk für den Bauherrn so preiswert wie möglich übernehmen
und dessen Gut so redlich verwalten, als wäre es sein eigenes. Auch soll er
keinem Bruder oder Lehrling mehr Lohn zahlen, als er wirklich verdient hat.
Meister und Maurer, die ihren Lohn zu Recht erhalten, sollen dem Bauherrn treu
ergeben sein und ihr Werk redlich beenden, gleichgültig ob nach Aufmaß oder im
Tagelohn. Auch sollen sie nicht nach Aufmaß abrechnen, wo Tagelohn die Regel
ist. Niemand soll einen Bruder um seinen Wohlstand beneiden, ihn verdrängen
oder ihm seine Arbeit wegnehmen, wenn dieser fähig ist, sie zu vollenden. Denn
keiner, der die Entwürfe und Zeichnungen eines anderen nicht gründlich kennt,
ist imstande, die Arbeit zum Vorteil des Bauherrn gut zu Ende zu führen. Wenn
ein Geselle zum Werkaufseher unter dem Meister gewählt wird, so soll er
gegenüber Meister und Genossen aufrichtig sein und, wenn der Meister abwesend
ist, sorgfältig die Aufsicht über die Arbeit zum Vorteil des Bauherrn führen.
Und seine Brüder sollen ihm gehorchen. Alle Maurer auf dem Bau sollen ohne Murren
und Meutern ihren Lohn willig empfangen und den Meister nicht im Stich lassen,
ehe das Werk nicht vollendet ist. Ein jüngerer Bruder soll in der Arbeit
unterwiesen werden, damit er den Werkstoff nicht aus Unkenntnis beschädige und
damit die brüderliche Liebe untereinander wachse und fortdauere. Alle
Werkzeuge, die bei der Arbeit benutzt werden, sollen von der Großloge genehmigt
sein. Kein Handlanger soll in der eigentlichen Arbeit der Maurerei beschäftigt
werden, und kein freier Maurer soll ohne zwingenden Grund mit denen
zusammenarbeiten, die nicht frei sind; sie sollen Handlanger und nicht
angenommene Maurer auch nicht unterweisen, wie sie dies gegenüber einem Bruder
oder Genossen tun sollen.
VI. Vom Betragen – nämlich
1. in geöffneter Loge
Ihr sollt keine privaten
Beratungen und keine gesonderten Besprechungen abhalten, ohne daß es euch der
Meister erlaubt. Auch sollt ihr nicht vorlaut und taktlos über etwas reden und
den Meister, die Aufseher oder einen Bruder, der mit dem Meister spricht, nicht
unterbrechen. Wenn sich die Loge mit ernsten und feierlichen Dingen befaßt,
sollt ihr nicht Dummheiten machen und Scherz treiben und unter keinem irgendwie
gearteten Vorwand eine unziemliche Sprache führen. Ihr sollt euch vielmehr
ehrerbietig gegenüber Meister, Aufseher und Genossen benehmen und sie in Ehren
halten. Wird eine Klage laut, so soll sich der für schuldig befundene Bruder
dem Urteil und der Entscheidung der Loge stellen, die der eigentliche und
zuständige Richter in allen derartigen Streitigkeiten ist, wo sie anhängig
gemacht werden müssen – es sei denn, ihr ruft die Großloge an. Nur wenn die
Arbeit für einen Bauherrn darunter leiden würde, darf ein Schiedsspruch gefällt
werden. In dem, was die Maurerei betrifft, dürft ihr nie vor Gericht gehen, wenn
es der Loge nicht unbedingt notwendig erscheint.
2. nach geschlossener Loge, wenn die Brüder
noch beisammen sind
Ihr könnt noch in
harmloser Fröhlichkeit zusammenbleiben, einander bewirten, wie es eure
Verhältnisse euch gestatten, sollt dabei aber jedes Übermaß vermeiden. Ihr
sollt keinen Bruder dazu verleiten, mehr zu essen oder zu trinken, als er
verträgt, ihn auch nicht daran hindern, zu gehen, wenn Verpflichtungen ihn
rufen. Auch sollt ihr nichts tun oder sagen, das verletzen oder eine
ungezwungene und freie Unterhaltung unmöglich machen könnte. Denn das würde
sich nachteilig auf unsere Eintracht auswirken und den guten Zweck vereiteln,
den wir verfolgen. Deswegen dürfen keine persönlichen Sticheleien und
Auseinandersetzungen und erst recht keine Streitgespräche über Religion, Nation
oder Politik in die Loge getragen werden. Als Maurer gehören wir nur der
allgemeinen Religion an, von der schon die Rede war. Unter uns findet man alle
Völker, Zungen, Stämme und Sprachen; wir wenden uns entschieden gegen alle
politischen Auseinandersetzungen, die noch niemals zum Wohle der Loge
beigetragen haben und es auch niemals tun werden. Diese Pflicht wurde schon
immer streng eingeschärft und befolgt, besonders aber seit der Reformation in
Britannien oder seit dem Abfall und der Trennung unserer Nationen von der
Gemeinschaft mit Rom.
3. wenn Brüder ohne Profane zusammenkommen,
aber nicht in der Loge
Ihr sollt einander höflich
grüßen, so wie man es euch zeigen wird, sollt euch Bruder nennen, euch
ungezwungen gegenseitig unterrichten, wenn es angebracht erscheint, aber darauf
achten, daß man euch nicht zufällig beobachtet oder belauscht. Ihr sollt
einander nicht lästig fallen oder es an jener Achtung fehlen lassen, die man
jedem Bruder schuldet, auch wenn er kein Maurer wäre. Denn obwohl sich alle
Maurer als Brüder auf gleicher Ebene bewegen, nimmt die Maurerei doch keinem
Menschen das Ansehen, das er vorher besaß, erhöht es vielmehr, namentlich wenn
er sich um die Bruderschaft besonders verdient gemacht hat; denn sie erweist
dem die schuldige Achtung, der sie verdient, und verwirft schlechte Formen.
4. in Gegenwart von Profanen
Mit Worten und in eurem
Auftreten solltihr vorsichtig sein, so daß auch der scharfsinnigste Fremde
nicht ausfindig machen kann, was sich zur Weitergabe nicht eignet; manchmal
müßt ihr auch einem Gespräch eine andere Richtung geben und es geschickt zum Besten
der ehrwürdigen Bruderschaft führen.
5. daheim und in der Nachbarschaft
Ihr sollt so handeln, wie
es sich für einen anständigen und klugen Menschen gehört. Vor allem sollt ihr
eure Angehörigen, Bekannte und Nachbarn nichts von dem wissen lassen, was die
Loge angeht, sondern – aus Gründen, die hier nicht erwähnt zu werden brauchen
euch verantwortlich fühlen für eure eigene Ehre und die der alten Bruderschaft.
Ihr müßt auch auf eure Gesundheit Rücksicht nehmen, die Zusammenkünfte nicht zu
lange ausdehnen oder nach Schluß der Loge noch zu lange von Hause wegbleiben,
nicht unmäßig essen und trinken, damit ihr eure Angehörigen nicht
vernachlässigt oder schädigt und euch selbst zur Arbeit unfähig macht.
6. gegenüber einem unbekannten Bruder
Ihr sollt ihn zurückhaltend
in einer Weise prüfen, wie eure Vorsicht es angebracht erscheinen läßt, damit
ihr nicht von einem unwissenden Betrüger zum Narren gehalten werdet. Mit
Verachtung und beißendem Spott sollt ihr ihn abweisen, wobei ihr euch hüten
müßt, irgend etwas von eurem Wissen preiszugeben. Erkennt ihr ihn aber als
einen echten und rechtmäßigen Bruder, so sollt ihr ihm mit entsprechender
Achtung begegnen. Ist er in Not, so müßt ihr ihm helfen, wenn ihr es könnt,
oder ihn dorthin weisen, wo ihm geholfen werden kann. Ihr müßt ihm einige Tage
Arbeit geben oder sonst dorthin empfehlen, wo man ihn beschäftigen kann. Aber
niemand verlangt, daß ihr mehr tut, als ihr könnt; nur sollt ihr einen armen
Bruder, der ein guter und aufrechter Mann ist, jedem anderen armen Menschen,
der in der gleichen Lage ist, vorziehen.
Zum Abschluß:
Alle diese Pflichten sollt
ihr euch zu eigen machen und ebenso weitere, die euch noch auf andere Weise
mitgeteilt werden; so pflegt ihr die brüderliche Liebe, die der Grundstein und
der Schlußstein, das uns alle verbindende Band und der Ruhm unserer alten
Bruderschaft ist, und vermeidet Zank und Streit, üble Nachrede und Verleumdung.
Auch sollt ihr nicht dulden, daß andere Schlechtes über einen redlichen Bruder
reden, sondern sollt ihn verteidigen und ihm helfen, soweit ihr es vor eurer
Ehre und eurem Gewissen verantworten könnt, doch nicht mehr. Und wenn euch
irgendein Bruder Unrecht tut, so sollt ihr euch an eure eigene oder an seine
Loge wenden. Erst dann könnt ihr an die Vierteljahresversammlung der Großloge
appellieren und endlich gegen deren Entscheidung die Jahresversammlung der
Großloge anrufen, wie es der alte löbliche Brauch unserer Vorfahren in jeder
Nation war. Führt nur dann einen Prozeß, wenn der Fall nicht anders entschieden
werden kann. Geduldig sollt ihr dem ehrlichen und freundschaftlichen Rat des
Meisters und eurer Genossen folgen, wenn sie es versuchen, euch von einem
Rechtsstreit mit Profanen abzuhalten oder euch dringend darum bitten,
schwebende Verfahren möglichst schnell abzuschließen, damit ihr euch mit um so
größerem Eifer und Erfolg der Aufgabe der Maurerei widmen könnt. Liegen aber
doch Brüder und Genossen vor Gericht im Streit, so sollen Meister und Brüder in
aller Freundschaft ihre Vermittlung anbieten, die von den streitenden Brüdern
dankbar angenommen werden sollte. Wenn das untunlich bleibt, dann sollen sie
ihren Prozeß vor Gericht ohne Leidenschaft und Erbitterung – wie es so oft
geschieht – führen und nichts sagen oder tun, das brüderlicher Liebe
entgegensteht und es verhindert, daß gute Dienste erneut angeboten oder
fortgesetzt werden: damit alle den segensreichen Einfluß der Maurerei erkennen
können, wie ihn alle wahren Maurer erkannt haben von Beginn der Welt und
erkennen werden bis ans Ende der Zeit.
Amen – so soll es sein!
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